Joel Chadabe* fand mich, wie ich im audiologischen Labor der SUNY Albany herumstöberte, wo 1969–1970 wahrscheinlich erst der dritte Computer auf dem Campus stand. Und Joel sagte, ich solle an seinem Kurs zur Komposition elektronischer Musik teilnehmen. Ich sagte: ich weiß nichts über Musik. Er sagte: mach dir darüber keine Sorgen. Und die Ausbildung bestand aus den free music store events, die Joel organisierte und seinen Komponisten-Freunden, die er einlud, um an der Universität zu performen. Einer davon war David Tudor. Und irgendetwas von dem, was David machte, wanderte direkt in mein Gehirn und ich sagte zu mir selbst: was auch immer dieser Typ tut, ich muss es wissen. Es war eine emotionale, nicht-rationale Reaktion auf sehr tiefer Ebene. Ich weiß nicht die exakte Abfolge, aber wahrscheinlich war da zuerst das Monobirds Konzert und dann Davids Arbeit mit der Merce Cunningham Company aus demselben Jahr. Das muss zwischen 1971–72 gewesen sein.
Als ich mein unabhängiges Studiensemester beendet und meinen ersten akademischen Grad in der Tasche hatte, gab es, siehe da, eine Ausschreibung für Neue Musik in New Hampshire. David Tudor gab einen drei-wöchigen Workshop. Ich lieh mir ein Auto und fuhr nach New Hampshire. An dem Workshop nahmen die wichtigsten Komponisten des Feldes teil – Julius Eastman, Gordon Muma, David Behrman, Peter Kotik, Frederic Rzewski.
Während der drei Wochen mit Tudor in New Hampshire, experimentierte ich mit seiner Technik, die Resonanzklänge elektrisch in Schwingung versetzter Objekte zu finden. Das war der Schlüssel. Die Nutzung von Davis Tudors elektronischen Techniken, um skulpturale Klangfelder zu erschaffen. Es war diese wunderbare Möglichkeit an einem sehr beeindruckenden, entscheidenden Punkt in meinem Leben. Daraus entstanden die Anfänge von Rainforest.
Noch immer suche ich nach einer guten Beschreibung für Rainforest. Mit Rainforest versuchst Du nicht, einen Konzertsaal mit einem einheitlichen Klang zu füllen, sondern komponierst Klangfelder, die Form und Raum haben. Es ist sehr physisch. Der Klang besteht nicht nur aus Tonhöhe und Lautstärke und klassischen Elementen instrumentaler Musik, es ist ein Klang, der Länge und Weite und Tiefe und Form hat. Er kann an einem Ort und in einem Raum existieren. Zum Beispiel, wenn Du Deinen Finger in die Nähe deines Ohres hältst und daran reibst, hörst du ein Geräusch, das etwa einen Zentimeter mal einen Zentimeter mal einen Zentimeter groß ist. Ich vermute, dass Rainforest im Wesentlichen die Entwicklung einer kompositorischen Sprache ist. Wenn Du Instrumente hast, die Klänge von verschiedenen Formen und Räumen erzeugen, was ist die Art der Komposition, die damit erschaffen werden kann?
Rainforest war ein großartiger Spielplatz dafür. Es war eine Learning by doing Erfahrung. Wie viele verschiedene Dinge kann ich gleichzeitig hören, während ich umherlaufe und zugleich alles auf einmal höre? Als Komponist überträgst du die Verantwortung auf die Hörenden, bietest den Hörenden an, etwas zu erkunden, um es zu erfahren. Das geht auch zurück zu Pauline Oliveros*. Es ist diese Verantwortung des Hörens, die du den Hörenden als Komponist gibst. Du gibst ihnen etwas zum Hören, aber sie müssen es selbst finden. In einer Installations-Situation bietest du eine Reihe von Klängen, zu denen du die Menschen einlädst, sie zu erkunden und ihre eigene Abfolge der Klänge zu finden. Zu einem gewissen Maße, wird nicht jede*r das Gleiche zur gleichen Zeit hören. Trotzdem ist es immer noch eine Erfahrung in Gemeinschaft mit den anderen Hörenden.
Als David Tudor sagte, komm, setze dich und performe, seine Herausforderung war das, was du zur Situation beitragen kannst. Er hat Fähigkeiten in Menschen erkannt und hat sie eingeladen, das zu tun, was sie im Rahmen ihrer Fähigkeiten können. Er tat das auf sehr subtile Weise. In der Regel war es: komm und perform zu dieser und dieser Zeit. Das ist etwas, was wir von David bekommen haben und er war immer erstaunlich großzügig damit.
Es war keineswegs ein Lernen durch am Vorbild oder Beispiel. Du musstest verstehen, wie du während einer Perfomance-Situation auf bestimmtem musikalischem Weg agieren musstest, denn du hattest eine Zeit, einen Tag und musstest in diesem Kontext einen brauchbaren Klang produzieren. Das ist ein weiterer schöner Teil von Rainforest. Es ist ein sehr grundlegender Pragmatismus, keinen Sound zu machen, bis man ihn braucht, und wenn man dann einen Sound machen muss, gibt es eine Menge Möglichkeiten zur Auswahl. Als ein Performer musst du diese Zugänge haben. Du musst Dein Instrument kennen. Da gibt es eine interessante Beziehung zwischen der Rolle der Komposition und der Improvisation. Vielleicht ist das im Kontext von Rainforest nicht ganz so wichtig, aber diese Beziehung muss ganz klar anerkannt werden.
Das Ziel ist keineswegs eine Dystopie zu bilden, sondern eine Community von Musikmachenden, Hörenden und Komponierenden zu erschaffen. Im Jahr 1973 hat David erläutert, wie Rainforest funktioniert. Er hat uns das Stück quasi geschenkt. Das Vehikel für den Aufbau der Gemeinschaft fand sich in den Schaltkreisen – in der Elektronik. Ein weiterer Aspekt ist, dass man Materialien auswählt und zeigt, was diese Materialien tun können, anstatt eine Abfolge von Sequenzen damit zu komponieren.
Das ist der Teil, der mich am meisten fasziniert, und ich denke, das gilt wahrscheinlich auch für viele andere Menschen.
Das, was ich das Tudor-Universum nenne, hat etwas sehr Fraktales an sich. Es gibt keine Möglichkeit, das wirklich einzugrenzen. Du denkst, du hättest es umrundet, und stellst fest, du hast vielleicht nur einen halben Kreis von einem Stück davon, und du hast nur einen Teil von etwas viel Größerem, das sich noch weiter entfaltet. Dieses ganze Ding – wie lässt es sich erhalten? Du musst es an andere Generationen weitergeben. Du musst die Fackel weiterreichen.
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*Joel Chadabe war ein amerikanischer Komponist, Autor und international anerkannter Pionier in der Entwicklung von interaktiven Musiksystemen.
*Paulline Oliveros war eine amerikanische Komponistin, Akkordeonistin und eine zentrale Figur in der Entwicklung der experimentellen und elektronischen Musik der Nachkriegszeit.
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PHIL EDELSTEIN
Phil Edelstein ist ein Gründungsmitglied von Composers Inside Electronics (kurz CIE). Er hat seit den Anfängen des Projekts Rainforest IV im Jahr 1973 an der Entwicklung der automatisierten Installationsversion Rainforest V mitgewirkt. Seine Arbeit umfasst Kompositionen, Software und Klanginstallationen für architektonische Räume, fokussierte Klangfelder und elektronische Bildwelten.
In jüngeren Arbeiten wurden Fraktale und Data Mining als kompositorische Werkzeuge für die Konstruktion von Klangfeldern verwendet beispielsweise in Werken wie Fractology, the Chaos patches. Für Impulsion werden synthetische und kodierte Hallräume in sich selbst gefaltet und akustisch wiedergegeben.
Er ist Mitbegründer von Electronic Body Arts (EBA), einer Kollaboration aus Choreografie, Musik und Technik, und war einer der Gründungspartner von Gilbert International, einem Software-Beratungsunternehmen, das auf Datenkommunikationssysteme und -produkte spezialisiert ist.
Er ist Mitglied des von Joel Chadabe gegründeten EMF Institute, das sich der Geschichte und Zukunft der elektronischen Musik widmet.
Edelsteins Arbeit ist auf Edition Block/Gramavision “Rainforest IV” und Orange Mountain Music’s “Composers Inside Electronics” – from the Kitchen Archives No. 4 erhältlich.
Ein automatisiertes Rainforest mit Matt Rogalsky und John Driscoll wurde auf der Governors Insel in New York als Teil des NY Electronic Arts Festivals und auf der Laboratiorio Arte Almeda in Mexico City als Teil des Radar Festivals gezeigt. In seiner jüngsten Soloarbeit verwendet er fraktale Zeitreihen, wie sie in seismografischen Live-Daten, Finanzdaten und iterativen Rückkopplungsfunktionen vorkommen. Mit und für John Driscoll arbeitet er an kybernetischen Servosystemen und der Steuerung von Ultraschallinstrumenten. Zu den laufenden Arbeiten mit dem CIE gehören die adaptive Automatisierung von Installationen und die Integration virtueller, resonanter Objekte.
Eine Unterhaltung mit Philip Edelstein, 14. August und 5. September 2022 von Caroline Meyers, EMF Institut.